Wie uns acht Monate Elternzeitroadtrip durch Südamerika verändert haben – Teil 1

Unterwegs in Südamerika haben wir recht viele Overlander kennengelernt. Allen war gemeinsam, dass sie die Prioritäten im Leben zumindest vorübergehend anders setzen als die meisten anderen Menschen. Doch Motive, Ziele und Zeitrahmen für den Ausbruch aus dem Alltag und den Traum vom Vanlife sind bei den Menschen sehr unterschiedlich und nicht nur von der Lebensphase abhängig, in der sie sich gerade befinden. So haben wir viele ältere Menschen getroffen, die ihr Haus verkauft haben, sich von dem Geld ein Expeditionsmobil zugelegt haben und jetzt ihren Lebensabend damit verbringen, die Welt zu bereisen. Aber es gab auch viele junge Menschen, die ihre Jobs gekündigt haben und nun im Camper unterwegs sind, solange das Geld reicht. Die meisten Familien, die wir getroffen haben, wollten für eine gewisse Zeit aus dem Alltag ausbrechen und intensiv Zeit mit ihren Kindern verbringen. Manche auch mit dem Ziel, während der Reise neue Lebensentwürfe für danach zu entwickeln. Und auch hier gab es Open-End-Reisende, die ihre Kinder per Home- oder Unschooling unterrichtet haben.
Alle Zelte abzubrechen und zu schauen, wie lange das Geld reicht, war für uns keine Option. Dafür gefällt es uns in unserer Heimat einfach zu gut und wir würden unsere Familien und unsere Freunde zu sehr vermissen. Auch hatten wir nicht vor, unser Leben danach radikal zu verändern. So stand für uns von Anfang an fest, dass wir unsere Jobs davor nicht kündigen und dass wir nach einem Jahr wieder in unsere Wohnung zurückkehren wollen.
Unser primäres Ziel war, viel Zeit zusammen als Familie zu verbringen und unsere Kinder dabei zu begleiten, wie sie die Welt entdecken. Wir wollten ein einfaches Leben mit wenig materiellen Dingen führen, dafür aber mit umso mehr Zeit und Gelegenheiten, andere Kulturen kennenzulernen und viel Natur zu erleben. Zwar waren wir coronabedingt dann letzten Endes nur knapp 8 Monate unterwegs, aber mit mittlerweile vier Monaten Abstand müssen wir feststellen, dass uns diese Reise doch in mancherlei Hinsicht verändert hat.

Umgang mit und Vertrauen in Fremde
Die Herzlichkeit und Gastfreundschaft in Uruguay, Chile und Argentinien haben uns immer wieder aufs Neue überwältigt. Europäer, insbesondere Deutsche, genießen dort ein sehr hohes Ansehen. Wir haben uns mit der Aufschrift ALEMANIA auf unserem Camper gleich als Deutsche geoutet und hatten den Eindruck, dass unsere Herkunft und natürlich auch unsere Kinder uns viele Türen geöffnet haben. 
An Obst- und Essensständen haben wir oft ein paar Teile mehr geschenkt bekommen. Auf Campingplätzen wurden uns von den Betreibern selbstgemachte Tortas Fritas als Wegzehrung mitgegeben und wir wurden zum Asado (ein Barbecue mit massiv viel Fleisch) eingeladen. Auf einem Campingplatz in Gaiman/Argentinien hat uns eine Gruppe argentinischer Motorradfahrer die ehrenvolle Aufgabe auferlegt, auf ihre Motorräder und ihr Gepäck aufzupassen. „Deutschen kann man vertrauen“, war der Satz, den wir vom Anführer der Motorradgruppe vorab hörten. In Punta Arenas/Chile hatten wir eine Zwangspause von zweieinhalb Wochen, da bei unserem Camper beim Öl- und Stoßdämpferwechsel etwas beschädigt wurde und seitdem das „Check Engine“ Warnlicht leuchtete. Als wir uns dort zum Mittagessen vor einem chilenischen Take Away Restaurant niedergelassen haben, hat uns Arnoldo zu sich nach Hause eingeladen. Er habe selbst Kinder und sein Haus sei nur ein paar Straßen entfernt, sagte er uns. Er möchte nicht, dass wir hier in der Kälte essen und es wäre ihm eine Freude, uns zu sich einzuladen. Etwas perplex nahmen wir sein Angebot an und durften ihn und seine wunderbare Familie kennen lernen. Am nächsten Tag wurden von ihnen zum Asado eingeladen und ein paar Tage später nahm uns Arnoldo zum Schwimmen in seinen Sportclub mit. „Mi casa es tu casa“ (Mein Haus ist dein Haus) hat er oft wiederholt und wir haben ihn und seine Familie noch ein paar weitere Male getroffen.
Unser Pickup war in dieser Zeit in der Werkstatt und wir wohnten in unserer Absetzkabine auf dem eher inoffiziellen Wohnmobilstellplatz von Victor mitten in Punta Arenas. Nachdem die Werkstatt uns keine konkreten Termine zur Reparatur nennen konnte und bereits ein paar Tage ins Land gestrichen waren, nahm sich Victor die Zeit, um mit uns in die Werkstatt zu fahren und ein paar kritische Fragen zu stellen. Nach einem hitzigen Gespräch zwischen Victor und dem Chef der Werkstatt nahmen wir unseren Camper unverrichteter Dinge wieder mit. Daraufhin organisierte Victor uns einen befreundeten Mechaniker namens Hernan, der sich unseres Campers annahm. Er machte eine Fehleranalyse am Computer, revidierte den kompletten Motor und tauschte den beim Ölwechsel abgerissenen Abgassensor, allerdings fand er keinen mechanischen Schaden im Motor und es leuchtete weiterhin das „Check Engine“ Warnlicht. Nachdem Hernan einen Elektriker hinzugezogen hatte, der schließlich einen defekten Tuning-Computer fand und ausbaute, lief der Motor wieder einwandfrei. Hernan wollte für seine Arbeit kein Geld sehen, schließlich habe nicht er das Problem gelöst, sondern der Elektriker. Es sei ihm eine Freude, uns „unsere Flügel zum Reisen“ wieder gegeben zu haben. Wir schenkten ihm eine Flasche Whiskey und bezahlten ihm zumindest den Ersatzsensor, den er besorgt hatte.
Zu guter Letzt lud uns Victor noch zum Asado auf den Campo seines Vaters ein. Mit seiner Familie und ein paar anderen Freunden verbrachten wir einen schönen Abend mit jeder Menge Fleisch und gezuckertem Wein aus der Wassermelone. Für Victor und seine Familie sei es eine Ehre gewesen, uns einzuladen und unsere Geschichten vom Reisen seien eine Bereicherung für den Abend gewesen.
Alle diese Begegnungen haben uns erleben lassen, wie bereichernd und schön es sein kann, offen für fremde Menschen zu sein und deren Angebot zu helfen ohne Bedenken anzunehmen. Wir wollen zu Hause zukünftig noch aufgeschlossener gegenüber fremden Menschen sein, proaktiv auf sie zugehen und Hilfe anbieten, wenn diese benötigt wird. Und wir werden sicher den Kontakt zu unseren neuen Freunden in Punta Arenas halten.

Die Schönheit der Heimat aus der „Fern-Perspektive“
Vom Dschungel in Iguaçu über die endlose Weite der argentinischen Pampa, die grüne Gegend an der Carretera Austral bis hin zu riesigen Gletschern und den bunten Vulkanlandschaften in den Anden – wir haben viele verschiedene Landschaftsformen gesehen und die Anblicke waren zweifelsohne sehr beeindruckend. Ab und zu haben uns Landschaften, die als absolute Highlights gelten, aber auch sehr an „zu Hause in Europa“ erinnert. Mit den Eindrücken aus Südamerika sehen wir hier in der Heimat Orte, die wir schon lange kennen, mit anderen Augen. Auch hier gibt es atemberaubend schöne Landstriche, Seen, Berge und prachtvolle Natur. Und wenn man den Begriff Heimat noch etwas weiter auf Europa ausdehnt, können wir sagen, dass wir hier doch auch eine unglaubliche Vielfalt an schönen Landschaften haben.
Den aufmerksamen Blick für die Schönheit der Natur haben wir mit nach Hause gebracht und hoffen, dass wir ihn im Alltag nicht wieder verlieren.

Gelassener sein
Die letzten Wochen vor unserer großen Reise waren wir doch recht angespannt. Es waren einfach unglaublich viele Dinge zu organisieren und vorzubereiten, und das neben unseren Jobs. Und dann wollten wir natürlich auch noch unserer Rolle als Eltern gerecht werden. Aber wenn ein Tag nun mal nur 24 Stunden hat, helfen nur straffe Organisation, Reduktion der Schlafzeiten und Zuversicht, dass am Ende alles gut wird. Das Gefühl, dann endlich im Flieger nach Montevideo zu sitzen, war unbeschreiblich erleichternd und befreiend. Und als dann auch noch unser Camper unbeschadet in Südamerika ankam, waren wir doppelt erleichtert. Die Reise selbst hatte auch diverse Abenteuer parat. Um ein paar wenige zu nennen: Angefressene Schläuche im Motorraum im Nirgendwo, kochende Kühlflüssigkeit auf 4.500 Metern über dem Meer, Schwerbewaffnete (aber immer höfliche) Polizisten vorm Camper, ein spontanes Live-Interview im Lokalfernsehen, ein Puma auf unserem Wanderweg, eine komplett verregnete 2-tägige Wanderung im Zweimannzelt, ein geschrotteter und nicht mehr zu öffnender Tankdeckel mitten in der Pampa und zuneige gehende Gasvorräte und kein Unternehmen in der Nähe, das europäische Gasflaschen auffüllt.
Als wir am 13. März zum wiederholten Mal von Chile nach Argentinien eingereist sind und Argentinien zwei Tage später das ganze Land abgeriegelt hat, war völlig unklar, wie und ob es mit unserer Reise weitergeht. Und als wir keine drei Wochen später in einem Rückholflieger der Bundesrepublik Deutschland saßen und unseren Camper in Buenos Aires zurücklassen mussten, hatten wir keine Ahnung, ob, wann und wie wir ihn wiedersehen.
Wir haben alle diese Unsicherheiten überlebt und wurden von Mal zu Mal gelassener.
In der Zwischenzeit haben wir unseren Camper unbeschadet zurück in Deutschland und Argentinien hat sämtliche kommerziellen Flüge bis Anfang September gecancelt. In der Retrospektive betrachtet, haben wir bei unseren Entscheidungen eigentlich immer einen ganz guten Riecher bewiesen und kritische Situationen gut gelöst. Grundvoraussetzung, um sich in solchen Situationen nicht verrückt machen zu lassen, ist definitiv eine gute Portion Gelassenheit. Diese Gelassenheit wollen und werden wir uns hoffentlich auch in unserem „normalen“ Leben bewahren.

In Teil 2 werden wir in Kürze noch weitere Aspekte herausstellen, wie unsere Reise unsere Denkweise und unseren Lebensstil beeinflusst hat.


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